Heute erzählen wir die Geschichte von Arthu, der es sich und den Menschen die ihm helfen wollten, nicht immer leicht gemacht hat. Aber er hat es geschafft und sogar sein Für-immer-zuhause gefunden, worüber wir uns ganz besonders freuen.

Arthu hatte sein erstes Zuhause in Italien. Seit seiner Welpenzeit lebte er dort, bis sein Frauchen plötzlich starb. Ein Nachbar kümmerte sich um den verwirrten Hund, aber leider konnte er dort nur kurze Zeit bleiben und kam in ein Tierheim. Das war 2018, Arthu war damals 7 Jahre alt. Im Tierheim kam er überhaupt nicht zurecht, aber glücklicherweise holten ihn unsere italienischen Kollegen da raus und brachten ihn in einer Pension unter. Zunächst ging es gut, aber nach kurze Zeit reagierte Arthu wieder gestresst und begann, sich selbst zu verletzen. Hinzu kam die Tatsache, dass er mit Artgenossen nicht unbedingt immer verträglich war… Seine Rettung war die Familie, die bereit war, ihn als Pflegehund bei sich aufzunehmen. Einfach war es nicht, Arthu hatte einige Probleme die darauf schließen ließen, dass er nicht nur positive Erfahrungen mit Menschen gemacht hat - und er war völlig verstört. Seine Pflegefamilie hat uns einen Bericht über ihre Zeit mit Arthu geschickt. Wir sind dankbar, dass sie Arthu den Weg ins Leben gezeigt haben, den er nun gemeinsam mit seiner neuen Familie geht.
Arthus ehemalige Pflegestelle schreibt:
Es gab eine Zeit, so im letzten Winter und kurz vor Karneval, da war Corona noch ein entferntes Ding irgendwo weit weg in China. Nein, nicht Corona drückte auf unsere Stimmung, sondern wir hatten gerade unseren Pflegehund, den besten Pflegehund aller Zeiten, abgegeben. Gut vermittelt, muss man sagen, und natürlich ein glücklicher Abschluss einer langen Zeit, nachdem wir ihn als eiligen Notfall aufgenommen hatten. Die passende Vermittlung, so müssen wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, ist Sinn und Zweck, weswegen wir Pflegestelle sind – nur beim Abschied und die Tage danach, da sieht das Herz das überhaupt nicht so und der Verstand steht still.
Nach einer Woche etwa, da guckt man dann schon mal wieder ins Internet. Und wir sehen: Arthu. In einer trostlosen Notsituation. Nach einer langen Zeit im Tierheim hält er es nicht mehr aus, er verletzt sich selbst, er knabbert sein eigenes Bein an. Die Wunde schaut grauenhaft aus, es gibt Fotos davon, nur die haben hier wirklich nichts zu suchen. Schrecklich! Und es ist, das muss man betonen, nicht irgendein Tierheim, sondern eine Pension, in der die Betreiber und Corinna von Salva la Zampa mit ihrem Team nun wirklich alles Menschenmögliche für ihre Schützlinge tun.
Könnte man, müsste man nicht den Arthu zu einem Bretonen ehrenhalber ernennen und ihm eine Pflegestelle bieten? (Wir wählen sonst bevorzugt Bretonen aus.) Vorsichtige Kontaktaufnahme – und zwei Wochen später ist Arthu tatsächlich in Deutschland. Inzwischen ist Corona eine massive Bedrohung und verursacht in Italien eine unfassbare Katastrophe. Wie Corinna es trotzdem geschafft hat, ihre Hunde am 1. März noch einmal aus Mailand herauszubekommen, ist eine eigene, längere und spannende Geschichte.
Sofort gibt es zwei Überraschungen. Was uns als Arthu angekündigt war, heißt tatsächlich laut Pass und Papieren Artu, nur die Hundepfoten führen in ihren internen Akten das zusätzliche germanische ‘h’. Gut, damit kann man leben. Womit wir die nächste Zeit auch leben müssen: Mitleid ist nicht immer der schlaueste Ratgeber, und wenn wir geglaubt haben, dass mit einem richtigen Heim und dem richtigen Umfeld und der persönlichen liebevollen Fürsorge für Artu sofort alles gut sei und er uns dankbar sein würde: O nein. So einfach ist das nicht.
Corinna hatte darauf bestanden, dass Artu für die gesamte Fahrkette in seiner Box bleiben müsse und nicht angefasst werden dürfe. Wie recht sie damit hatte! Was jetzt in unserem Esszimmer aus der Box kroch, das war ein hochgradig verstörtes Wesen, das sich nicht anfassen ließ, das auf alles panisch reagierte und dabei mit unbeschreiblichen Lauten um sich biss.
Unsere eigene Hündin, die Sheltie-Dame Bella, ist eine wunderbare Begleiterin und Coach für Pflegehunde. Bei mehr als einem Dutzend hat sie sich bewährt. Jeder einzelne Pflegi hat von ihr profitiert, von ihr wichtige Dinge für das tägliche Leben abgeschaut, Sicherheit gewonnen. Mit das Beste dabei: Wenn ein Pflegi unbotmäßig lange braucht, um auf mein Rufen zu kommen, dann schimpft sie ihn lauthals aus. Obwohl ich selbst natürlich den ungehorsamen Hund würgen wollte, kann ich es mir leisten, ihn ganz wie die Theorie es fordert zu loben und für Kommen zu belohnen. Er kriegt trotzdem mit, dass sein Verhalten nicht so recht rudelkonform war.
Bei Artu war Bella erst wie üblich selbstbewusst und fürsorglich, dann erschrocken, und dann hat sie sich, das allererste Mal bei einem Pflegehund, vorsichtig zurückgezogen. Nicht den paar Fellfetzen hat sie hinterhergetrauert, die ihr die ersten Kontakte mit Artu gekostet haben, sondern sie war völlig perplex, dass ein neuer Hund ihre Autorität und ihre uralten Rechte nicht akzeptierte.
Hier haben wir sofort und energisch Grenzen gesetzt. Wer zu Bella in unserem Haus unfreundlich ist oder ihr das Futter klaut, der wird schon mal unmissverständlich angeschnauzt. Vertrauen baut das nicht auf, und überhaupt und irgendwie Artus Vertrauen zu gewinnen, war eine harte Aufgabe für die nächsten Wochen. Ich habe versucht, die leidvollen Erfahrungen des Anfangs in möglichst humorvoller Form zu schildern, aber so richtig heiter war das alles nicht.
Sehr geholfen hat, dass Artu sich tatsächlich als Bretone ehrenhalber erwies: Die Spaziergänge, oder vielleicht besser die Wanderungen in unserem Revier, dem Naturschutzgebiet Wurmtal, die hat er von Anfang an genossen. Da war er auch schnell ansprechbar. Nach zwei Wochen gelang dann dieses Foto:

Ein selbstbewusster Artu galoppiert über gut eingezäuntes Gelände und wirkt schon ganz glücklich und entspannt. Die Wunde (oberhalb des rechten Vorder-Fussgelenks) verheilt. Mit Bella klappte es inzwischen einwandfrei.

Länger brauchte es, bis er mal vertrauensvoll zu meiner Frau oder mir zum Kuscheln kam. Und das war in der Regel mehr aus Versehen als aus Bedürfnis, Artu blieb reserviert gegenüber Menschen. Gar nicht schön war es mit anderen Hunden. Meistens ging es zwar gut, manchmal indessen führte er sich auf wie ein Berserker, da musste man stets aufpassen und ihn oft gut festhalten. Außerdem, es blieb eine ganz schlechte Idee, ihn in Stress-Situationen von hinten ans Halsband oder Geschirr anfassen zu wollen. Auch wenn der Mensch 10 Finger hat, entbehren will man doch keinen …

Für die Vermittlung waren Cordula und ich einig, dass wir uns da Zeit lassen und Artu erst richtig zur Ruhe kommen lassen sollten. Klar außerdem: Auf gar keinen Fall zu Kindern wegen der Bissigkeit, auf gar keinen Fall zu großen Rüden.
Bewerber meldeten sich und sprangen wieder ab. Die Wochen und Monate vergingen, der Lock-Down war in Kraft, home office war prima für alle Hunde, und dann durfte Artu zu Tiere-suchen-ein-Zuhause. Wir fuhren ihn also zum WDR nach Köln. Leisen Befürchtungen zum Trotz hat er seine Sache prima, ohne Fehl und Tadel gemacht. Fast so gut wie Marion, die die HPiN-Hunde zusammen mit der Moderatorin vorstellte. Artu kam wirklich sympathisch und authentisch rüber.
Viele Anfragen gab’s, viel Schrott darunter, leider war auch die nähere Auswahl dann beim noch näheren Hingucken entweder nicht geeignet oder schreckte doch zurück.
Und schließlich die eine Anfrage, wo ich schon beim ersten langen Telefonat das Gefühl hatte: Die sind es! Wenn sie jetzt nur bei der Stange bleiben und sich weder von den paar ungeschminkten Wahrheiten über Artu noch von den unvermeidlichen weiteren Verzögerungen abhalten lassen! Denn es standen Hochzeiten von gleich zwei Kindern an sowie Urlaub am Bodensee.



Was für ein Glück, dass die Interessenten so lange gewartet hatten und weiter warteten. Ein paar Monate zuvor wären sie sofort ausgeschlossen worden: Zwei kleine Mädchen im Grundschulalter, dazu ein großer dunkler Rüde im Haushalt hätten Cordula und mich abwinken lassen.
Aber Artu war inzwischen mit den vielen Kindern in unserer Nachbarschaft vertraut geworden. Die durften ihn anfassen und streicheln. Ich muss gestehen: Wohl war mir nie dabei. Immer kam er dazu an die ganz kurze Leine, immer mahnte ich: Nur ein Kind, die anderen stehen an, langsam!, nicht von hinten, nicht von oben, streichelt doch lieber Bella. Doch jedesmal ging es besser bei Artu. Also verständige Kinder mit einsichtigen Eltern sollten kein Hinderungsgrund mehr sein.
Beim Hund, das musste man ausprobieren. Im Grunde hatte Artu mich schon einige Zeit davon überzeugt, dass er besser als Zweit- als als Einzelhund vermittelt werden sollte. Beim ersten Treffen gingen wir ganz listig vor. Nicht im Haus traf Artu den Neuen, den er dann als Eindringling betrachtet hätte. Sondern wir verabredeten uns eine Strecke davon entfernt in unserer Straße, im Freien, auf neutralem Grund. Alles ging gut, ging wunderbar. Es schien, dass Artu bei aller vorsichtigen Reserviertheit, die ihm nun mal zu eigen ist und bleiben wird, dennoch leise andeuten wollte, dass er mit unserer Wahl einverstanden war.

Zwei Wochen später war er im neuen endgültigen Heim. Es war nicht seine Schuld, dass das noch nicht das Ende der Geschichte war, denn er entwickelte ein paar besorgniserregende medizinische Probleme, kostspielige dazu (für HPiN). Jedoch hat das ihn und seine neue Familie noch mehr zusammengeschweißt. Ein Happy-End also in schwierigen Zeiten für einen schwierigen Hund!
Was wären wohl seine Chancen gewesen, wenn er sich nicht aus Verzweiflung selbst verstümmelt hätte?
